Der Satiriker Jean- Philippe Kindler veröffentlichte am 21. Februar 2023 auf Instagram ein Reel, das mich nachdenklich stimmte. Nicht weil es um Depressionen ging sondern darum, dass Depressionen, geboren im kapitalistischen Sein, auch ein kollektives Leid darstellen und nicht immer etwas kleines Privates, das Jede*r für sich allein lösen muss.

Mit „Kollektiven Erschöpfungsphänomenen“ fand die Historikerin Sarah Christin Bernhardt im Beitrag von ttt_titel_thesen_temperamente einen ziemlich passenden Ausdruck dafür, dass „das Gefühl des Ausgeliefertseins“ eine gesellschaftliche Dimension hat, in dessen Kern wir uns darin erschöpfen, in einer Vorformatierung hineinpassen zu müssen, ohne dabei einen persönlichen Wert wiedergespiegelt zu bekommen. Sein zu müssen, was man nicht ist, ständig in Konkurrenz zum anderen zu stehen, immer mehr produzieren, arbeiten und machen zu müssen und dabei das Menschsein zu verlieren macht uns zu Fremden, zu EinzelgängerInnen und einsam.

Was mir bei Herr Kindler so gut tat, war das Aussprechens einer Vermutung über eine (von vielen) mögliche Quelle von psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angstzuständen, besonders in kreativen Berufen. “Ich liebe meinen Beruf, aber er macht mich auch fertig. Ständig in Konkurrenz stehen zu müssen, immer mehr produzieren zu müssen, keinen Urlaub zu haben – Ich bin einfach nur müde.” Er beschreibt in seinem Reel die Auswirkungen eines kreativen Lebens auf der Bühne und den sozialen Medien. Denn das, was die Bühnen im offline Leben sind, sind die sozialen Medien online. Eine unendliche Aneinanderreihung von Bühnen, auf denen Jede*r sein Bühnenprogramm abliefert und dabei sich immer wieder inszenieren, ständig produzieren und etwas Neues einfallen lassen muss, das das Publikum, das keinen Eintritt bezahlt, zufrieden und bei der Stange hält.

Weil die Sozialen Medien nicht mehr aus unserem gesellschaftlichen und schon gar nicht beruflichen Leben wegzudenken oder zu ignorieren sind, sind wir ihnen ausgeliefert. Wir sind Produzenten und Konsumenten zugleich und gefangen im unendlichen Kreislauf des “Mitmachen – müssens“, weil wir uns sonst rausschießen. Schon allein der Algorithmus von Instagram ist so ausgelegt, dass eine Inaktivität von ein paar Tagen dazu führt, in den Schatten verbannt zu werden. Und davor fürchten wir uns.

Nichts ist so symbolisch wie dieser “Schattenbahn“, der unser Online Profil ins Unsichtbare verdammt. In die Unsichtbarkeit gestoßen und aus dem Sichtfeld der Community verbannt, sind wir auf einmal umgeben von einer Dunkelheit, die uns ängstigt. Dieser kurze Moment des Ausstiegs und Ausruhens, des Nicht- Konsumierens und Nicht- Produzierens hat uns rausgeschossen und auch die vorhergehende Arbeit ruiniert. So mühen wir uns im ewigen Kreislauf ab, um wieder dahin zu gelangen, wo wir vorher waren und dort zu bleiben, und erschöpfen uns. Aus Erschöpfung wird eine Verzweiflung, die bleibt.

Dass diese Erschöpfung kollektiv ist, und dadurch aus einem privaten ein gesellschaftlichen Phänomen macht, ist bekannt. So viele wissen darum, versuchen aber das Phänomen in einer Therapie oder in Coachings aufzulösen. Nicht um auszusteigen sondern um im kollektiven Kreislauf der Erschöpfung bleiben zu können. Es auszuhalten, mental umzudeuten und damit erträglicher zu machen, erscheint besser als auszusteigen und damit wirklich gesund zu werden. Weil die eigene Existenz daran hängt.

Jean- Philipps Aufruf zu „Bildet Banden“ ist daher ein Türöffner für das Gemeinsame gegen den Kreislauf der kollektiven Erschöpfung. Lasst uns gemeinsam Kuchen essen. Lasst uns Kaffee trinken, plaudern, die Zeit verlieren und miteinander nicht mehr allein sein. An einem Sonntag. Bei mir im Garten. Offline.


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